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Das Verhältnis von Staat und Kirche

von Christian Saftig

Die Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft schreitet voran. Damit einhergehend steigt auch die Vielfältigkeit der Weltanschauungen. Es gibt derzeit in Rheinland-Pfalz mehr als 15[1] Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (darunter bspw. Mormonen, Jehovas Zeugen oder Freireligiöse) haben.[2] In dieser Zahl fehlen noch viele bekannte Religionsgemeinschaften wie bspw. der Islam, oder der Hinduismus und Buddhismus.

Alle anerkannten Religionsgemeinschaften haben Anspruch auf ihr sogenanntes „Privilegienbündel“, wie bspw. das kirchliche Arbeitsrecht. Zur Problematik des kirchlichen Arbeitsrechts veranstaltete die Heinrich Böll Stiftung Rheinland-Pfalz am 10. Juli eine Veranstaltung mit Gunnar Schedel und Corinna Gekeler. Zu der Thematik sei auch auf die Kampagne gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz (GerDiA) und die Studie von Corinna Gekeler „Loyal dienen“ hingewiesen.

Dazu kommt, dass die immer größer werdende Gruppe der „Konfessionslosen“ und „Religionsfreien“ die größte Bevölkerungsgruppe in Deutschland darstellt.[3] In Rheinland-Pfalz stellt die katholische Kirche noch mit weniger als 45 Prozent die stärkste Bevölkerungsgruppe, wobei darunter auch eine große Zahl an sog. „Taufscheinchristen“[4] fällt. Die Religionsgemeinschaften verliert also ihre Monopolstellung auf „Sinnstiftung“ und „Gemeinschaftsbildung“ und konkurriert heute mit unterschiedlichsten Vereinen, Verbänden und Organisationen.

Daher stellt sich die Frage, wie wir es mit der Religion halten wollen und ob das aktuelle Staatskirchenrecht noch zeitgemäß und gerecht ist. Das derzeitige kooperative System (auch als „hinkende“ Trennung bezeichnet) wird zunehmend in Frage gestellt.

Auch innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen wird diese Problematik diskutiert. Mit der Gründung des Arbeitskreises Säkulare Grüne im Januar 2013 kam diese Diskussion in Fahrt. Als Reaktion darauf wurde am 16. Dezember 2013 eine Kommission zum Verhältnis von Staat und Religion einberufen. In der Kommission sitzen 23 Personen mit unterschiedlichen weltanschaulichen Hintergründen und Positionen, u.a. Vertreter der Grünen Jugend, der Säkularen Grünen, des Arbeitskreis Muslime NRW und bspw. Volker Beck und Katrin Göring-Eckhardt. Diese Kommission soll im Herbst dieses Jahres einen ersten Zwischenbericht auf einem Kongress vorstellen. Der Abschlussbericht soll im zweiten Quartal des nächsten Jahres vorliegen.

Für die Kommission wurden von verschiedenen Personen Debattenbeiträge erstellt. Am prominentesten ist dazu der Beitrag von Sven Giegold (MdEP) und Winfried Kretschmann (Ministerpräsident von Baden-Württemberg). Diese „Religionspolitischen Thesen“ verteidigen die  kooperative Trennung von Staat und Kirchen und wenden sich gegen die Losung „Religion ist Privatsache“. Dort deuten sie den Begriff „säkular“ so um, dass er das jetzige Verhältnis bezeichnet und setzen ihn gegen den Begriff „laizistisch“ im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche. Die strikte Trennung wird von ihnen als „pluralismus- und freiheitsfeindlich“ abgelehnt. Giegold und Kretschmann weisen den Religionsgemeinschaften eine besondere Rolle im Gegensatz zu anderen Gemeinschaften zu,  das sie nämlich Werte bilden und einen „kulturellen Mehrwehrt“ a priori schaffen würden. Diese Sichtweisen wurden von säkularer Seite heftig kritisiert. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft ChristInnen hat in vielen Bereichen, die das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften betreffen, progressivere Forderungen als Giegold und Kretschmann (namentlich dem kirchlichen Arbeitsrecht und den Staatsleistungen) erarbeitet. Spannende Diskussionen in der Kommission sind garantiert.

Doch nicht nur auf Bundesebene tut sich etwas, sondern auch auf Länderebene gründeten sich Ableger der Säkularen Grünen, so auch in Rheinland-Pfalz zu Beginn des Jahres 2013. In Rheinland-Pfalz wurde von der Landesdelegiertenversammlung in Betzdorf ein Runder Tisch beschlossen, der Grundsatzbeschlüsse zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften erarbeiten soll. Die Diskussion über das Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Staat wird in der also in der Breite und auf allen Ebenen der Partei geführt.


[1] Neben unzähligen nicht als KdöR anerkannt sind. Für eine Übersicht der allgemein unter „andere“ fallenden Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft sei die Übersicht des religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienst (REMID) empfohlen.

[4] Personen, die zwar getauft sind, aber sonst wenig bis gar nichts mit ihrer Religion zu tun haben.

 

Zuvor schwenkt bereits der grüne Jugendverband auf eine säkularen Kurs ein. Auf dem Bundeskongress der Grünen Jugend im Mai 2011 wurde in umfassendes Papier mit säkularen Forderungen verabschiedet.

Die pdf zu diesem Artikel finden Sie hier.

Die Kurzfassung der Studie "Loyal dienen" von Dipl.pol. Corinna Gekeler kann hier heruntergeladen werden.