Wie jede Form der Popmusik ist auch Rechtsrock nur dann hinreichend zu verstehen, wenn sämtliche Elemente, die zur Konstruktion eines Popsongs notwendig sind, als wechselwirksames System verstanden und dementsprechend analysiert und interpretiert werden.
Es ist nie ein einziges Element allein („die Musik selbst“, „der Text selbst“ usw.), das einen Song zu dem macht, als was er verstanden wird. Ob mensch einen Song als gut, schlecht, cool, peinlich, altmodisch, total hip oder eben rechts bewertet: Solche Bewertungen sind immer Zuschreibungen, keine Eigenschaften, und sie gelingen nur, wenn ein Song als Ganzes aus Musik, Text, Bild und ‚Performance‘ verstanden wird.
In etlichen, zweifelsohne gut gemeinten Aufklärungsbroschüren ist immer wieder von der „Einstiegsdroge Musik“ die Rede, so als sei Musik eine transzendentale, nicht kontrollierbare Kraft, gegen deren Macht sich Menschen nicht wehren könnten.
So heißt es z.B. in einem Faltblatt des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, in dem Tipps zum Umgang mit der Schulhof-CD (2008) gegeben werden:
„Mit der Schulhof-CD nutzt die NPD bewusst die unverfängliche Wirkung, die Musik auf Jugendliche hat, für ihre ideologischen Zwecke. […] Ganz gezielt stehen die politischen Inhalte nicht im Vordergrund. Vielmehr sind es zunächst die eingängigen Melodien und die einfachen Rhythmen, die sich bei den Jugendlichen einprägen und sie dauerhaft anziehen. So dient die rechtsextremistische Musik häufig als ‚Einstiegsdroge‘ in die rechtsextremistische Szene“.
Bemerkenswerterweise setzt auch die extreme Rechte auf diese vermeintliche Wirkmacht von Musik.
,,Die Musik transportiert Meinung, Musik transportiert Kultur, ein Zugehörigkeitsgefühl, das ist für uns ein wichtiges Bindeglied zur Jugend. Weil über Musik sprechen wir die Jugend an, und sind dann in der Lage, wenn wir ihr Herz über die Musik geöffnet haben, ihnen auch unsere Ideen letztendlich schulisch beizubringen.” (UdoVoigt, NPD-Vorsitzender, 2005).
Ganz so einfach verhält es sich mit der Macht der Musik allerdings (glücklicherweise) nicht: Musik „macht“ nichts!
Selbstverständlich „wirkt“ Musik zwar auf Menschen, allerdings ist die jeweilige Wirkung von Mensch zu Mensch, von Musik zu Musik und von Situation zu Situation immer unterschiedlich. Musik „macht“ zwar etwas mit Menschen, aber es ist unmöglich vorherzusagen, „was“ eine bestimmte Musik mit einem bestimmten Menschen zu einer bestimmten Zeit „macht“.
Musik ist ein sozialer Prozess: Sag mir, was Du hörst, und ich sage Dir, wer Du bist.
Wichtiger als die angeblich „eingängigen Melodien und die einfachen Rhythmen“ ist die Einsicht, dass Musik im Leben fast aller Jugendlichen eine ganz zentrale Rolle spielt, weil Musik auf der einen Seite unweigerlich nur im sozialen und kulturellen Miteinander als Musik funktioniert, und zugleich ein ausgesprochen wichtiges Medium im Prozess der Identitätsbildung darstellt.
„Sag mir, was Du hörst und ich sage Dir, wer Du bist“ ist dabei mehr als nur eine Plattitüde. Vielmehr ordnen sich Menschen (und insbesondere Jugendliche) über Bevorzugung oder Ablehnung bestimmter musikalischer Stile sozialen Gruppen zu, von Metalfans über Punks und Emos bis hin zum sogenannten „Mainstream“ (auch die indifferente breite Masse ist in diesem Fall eine soziale Gruppe). Es sind genau diese Prozesse der Identitätsbildung, innerhalb derer sich Menschen (auch) über Musik der extremen Rechten zuordnen – oder auch nicht.
Wie überall in der Musik wird auch im RechtsRock Bedeutung nur im sozialen und kulturellen Miteinander erzeugt!
Die rechten Botschaften werden im RechtsRock niemals alleine über die jeweiligen Songtexte vermittelt (wer das nicht glaubt, überprüfe einmal einen beliebigen NSBM-Song auf dessen Textverständlichkeit).
Vor diesem Hintergrund ist ein Popsong nur als wechselwirksames System verschiedenster Ebenen zu begreifen, die erst in ihrer Gesamtheit genommen „ein Stück Popmusik“ (z.B. einen Song) konstruieren. Dazu zählen:
Die klanglich-musikalische Ebene,
Auf der klanglich-musikalischen Ebene lassen sich mit konventionellen Analysewerkzeugen nur vergleichsweise wenige Kriterien ausmachen, die einen Popsong von einem anderen unterscheiden, hinsichtlich Harmonik, Melodik, Rhythmik und Form funktionieren die meisten Popsongs gleich. Anders verhält es sich hingegen mit dem Aspekt Klangfarbe bzw. Sound, der einen Popsong nun doch ganz deutlich von einem anderen unterscheidet. Bestimmte Soundeffekte wie distortion, delay, hall usw., bevorzugte Register (bei Metal z.B. ist der Gesang entweder extrem hoch oder extrem tief), eine charakteristische Artikulation (der Gesang ist schreiend oder schmeichelnd, mensch kann auf’s Schlagzeug dreschen oder eher die Felle streicheln usw.) und ein bestimmter „groove“ charakterisieren den ganz bestimmten Klang eines Songs.
die literarische Ebene,
Auf der literarischen Ebene ist zunächst natürlich der Songtext zu betrachten, also Sprache, Sprachniveau und Sujet (Gegenstand). Daneben zählen hierzu aber auch Bandnamen, Albumtitel und Tournee- bzw. Festival- und Konzertbezeichnungen.
die visuelle Ebene,
Auf der visuellen Ebene wiederum ist nicht nur ein eventuell vorhandenes Musikvideo zu untersuchen, sondern vor allen Dingen die visuelle Gestaltung von Plattencovern, Bandlogos und Konzert- bzw. Tourplakaten sowie neuerdings auch die optische Aufbereitung von Homepages; nicht zuletzt zählt hierzu aber auch das „styling“ der Interpret_innen, also Klamotten, Accessoires, Frisur usw.
die habituelle Ebene,
Insbesondere hinsichtlich des „stylings“ lassen sich zudem auch etliche Gemeinsamkeiten von Interpret_innen und Fans ausmachen, was gleichzeitig auch für die habituelle Ebene – Gestus, Habitus usw. – gilt und ganz wesentlich für den Aspekt „Musik ist soziales und kulturelles Miteinander“ ist.
sowie sämtliche sozialen Prozesse von Interpret_innen und Fans.
Diese Prozesse manifestieren sich nur in der diskursiven Auseinandersetzung über Musik: Erst im Diskurs wird ein Song mit Bedeutungszuschreibungen und entsprechenden Kontextualisierungen beispielsweise rechts aufgeladen.
Insofern ist auch Rechtsrock nur dann hinreichend zu verstehen, wenn sämtliche zur Konstruktion eines Popsongs notwendigen Ebenen als wechselwirksames System verstanden und dementsprechend analysiert und interpretiert werden, ist es doch nie eine einzige Ebene allein („die Musik selbst“, „der Text selbst“ usw.), die rechts ist, sondern einzig das im Miteinander konstruierte Gesamtpaket.